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Die Aus­wahl der Hilfs­mit­tel wird immer grö­ßer. Doch Vor­sicht: Bei fal­schem Umgang kann die Sturz­ge­fahr zuneh­men. Wolf­gang Muhlke

Ber­lin. Die älte­re Dame steht war­tend auf dem Trep­pen­ab­satz. Mit ihrem Rol­la­tor kommt sie die Stu­fen zum Aus­gang nicht hin­un­ter. Schnell fin­det sich ein Hel­fer, der die Stütz­hil­fe nach unten trägt.

Erstaun­lich gewandt folgt ihm die Frau. Unten ange­kom­men, nimmt sie den Rol­la­tor wie­der in Emp­fang und schiebt ihn vor sich her. Es drängt sich die Fra­ge auf: Hat die Frau das Gerät wirk­lich nötig? Ganz anders ist es bei einer Mitt­acht­zi­ge­rin. Die Ver­wandt­schaft konn­te schon nicht mehr hin­se­hen, wenn sich die Senio­rin in Bewe­gung setz­te, so unsi­cher war sie auf den Bei­nen. ” Bloß kei­nen Rol­la­tor”, hat sie oft gesagt„ “damit käme ich mir alt vor.” Dann sieg­te Ver­nunft über Eitelkeit.

1978 in Schwe­den erfunden

Der Rol­la­tor erleb­te sei­ne Pre­mie­re im Jahr 1978. Erfun­den hat ihn die schwe­di­sche Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin Aina Wifalk. Anfang der 70er-Jah­re war sie an Kin­der­läh­mung erkrankt. Um ihren Bewe­gungs­ein­schrän­kun­gen ent­ge­gen­zu­wir­ken, ent­wi­ckel­te sie das bis dahin üblich Geh­ge­stell wei­ter. Sie mach­te es durch Räder und eine Sitz­flä­che kom­for­ta­bler und fand einen Pro­du­zen­ten, der die Inno­va­ti­on in Serie pro­du­zier­te. Heu­te gehört der Rol­la­tor längst zum All­tags­bild auf Deutsch­lands Stra­ßen. Und mit der wei­ter altern­den Gesell­schaft wird die Ver­brei­tung zuneh­men. Das Sta­tis­tik­por­tal Sta­tis­ta geht von einem wach­sen­den Markt aus. Zwi­schen 2008 und 2012 steig der Rol­la­tor­ab­satz in Deutsch­land von 335 000 auf 425 000. Bis Mit­te des Jahr­hun­derts  rech­nen die Exper­ten mit einem wei­te­ren Plus von 16 Pro­zent. Doch wann ist die Anschaf­fung sinn­voll, und was ist dabei zu beach­ten? In den meis­ten Fäl­len ver­schreibt der Arzt sei­nen Pati­en­ten das Hilfs­mit­tel. Die Kran­ken­kas­se kommt für die Kos­ten eines Leih­ge­rä­tes auf, das etwa in ortho­pä­di­schen Fach­ge­schäf­ten erhält­lich ist. Oder die Kas­sen zah­len bei Ver­ord­nung einen fes­ten Zuschuss von 70 bis 80 Euro. Rät der Haus­arzt zur Stüt­ze, ist die Anschaf­fung eines Rol­la­tors sicher­lich sinn­voll. Doch kau­fen Älte­re die Geh­hil­fen häu­fig auch ohne medi­zi­ni­sche Ver­ord­nung. Denn ange­bo­ten wer­den Rol­la­to­ren mitt­ler­wei­le in vie­len Aus­füh­run­gen und Geschäf­ten. Selbst die Dis­coun­ter Lidl und Aldi hat­ten sie bereits im Ange­bot. In edler Aus­füh­rung sind sogar Model­le auf dem Markt, bei denen ein Elek­tro­an­trieb das bis­wei­len müh­sa­me Schie­ben berg­auf unter­stützt. Die Prei­se rei­chen von etwa 70 Euro bis zu 1000 Euro. Die Deut­sche Senio­ren­li­ga hält Rol­la­to­ren in vie­len Fäl­len für geeig­ne­te Hel­fer. So sei­en älte­re Men­schen nach einer Hüft- oder Rücken­ope­ra­ti­on oft noch unsi­cher auf den Bei­nen. Hier kom­me die Geh­hil­fe als Über­gangs­lö­sung bis zur voll­stän­di­gen Gene­sung in Betracht. Auch wenn die Furcht von einem Sturz groß sei oder das Bedürf­nis nach fes­tem Halt, soll­te die Anschaf­fung mit dem Haus­arzt bespro­chen wer­den, rät die Senio­ren­li­ga. Doch es gibt auch Exper­ten wie den Sport­wis­sen­schaft­ler Ulrich Lin­de­mann, der schon län­ger warnt: “Wer län­ge­re Zeit den Rol­la­tor benutzt, ver­lernt das nor­ma­le Gehen, weil sich der Kör­per an die Gang­art gewöhnt, die er nun aus­übt, mit einer zusätz­li­chen Stüt­ze”, sag­te er der “FAZ”. Die­ses Gewöh­nen wie­der­um erhö­he das Ver­let­zungs­ri­si­ko. In Fach­krei­sen spricht man vom soge­nann­ten Hilfs­mit­tel­pa­ra­do­xon. Das Hilfs­mit­tel soll Stür­ze ver­mei­den, kann sie jedoch auch aus­lö­sen. Und: “Wer mit Rol­la­tor stürzt, ver­letzt sich meist schwe­rer, weil er durch den Rol­la­tor am Abfan­gen gehin­dert wird oder in den Rol­la­tor hin­ein­fällt”, so Lindemann.

Schrift­li­che Hin­wei­se sind dürftig

Ein Sturz­ri­si­ko geht laut den Erfah­run­gen der Senio­ren­li­ga von der häu­fig anzu­tref­fen­den Pra­xis aus, den Rol­la­tor zu einem zu gro­ßen Abstand vor sich her­zu­schie­ben. Beim Druck auf die Hal­te­grif­fe kön­ne das Gefährt vor­ne abhe­ben, so die War­nung. Fal­sche Hand­ha­bung kön­ne aus Dau­er auch zu Hal­tungs­schä­den füh­ren. Eine Ein­wei­sung soll­te des­halb bei jedem Kauf dazu­ge­hö­ren. Oft, so kri­ti­sie­ren Exper­ten, sei­en die mit dem Pro­dukt aus­ge­lie­fer­ten schrift­li­chen Hin­wei­se zur Hand­ha­bung zu dürf­tig. Die Senio­ren­li­ga hat des­halb ihrer­seits Tipps in der Bro­schü­re “Mobil mit Rol­la­tor” zusam­men­ge­stellt: Die rich­ti­ge Höhe der Hal­te­grif­fe gehö­re zu den wich­tigs­ten Ein­stel­lun­gen. Auch das Brem­sen, Hin­set­zen oder Über­win­den von Schwel­len und Stu­fen soll­te geübt wer­den. In Papier­form ist die Bro­schü­re zwar der­zeit ver­grif­fen, sie kann aber als Datei beim Ver­lag per Email bestellt wer­den — unter publikationen@medcominternational.de.

WAZ / 08.09.2017 / Sei­te 37